15 maja 2016

SPIEGEL-Brief

Liebe Leserin, lieber Leser!
Was würden Sie tun, wenn Sie jeden Monat 2200 Euro geschenkt bekämen - ohne dafür irgendetwas leisten zu müssen? Den Job kündigen? Eine Weltreise machen? Den ganzen Tag auf dem Balkon sitzen und Ukulele spielen? In der Schweiz könnte dieses Gedankenspiel bald Realität werden. Die Schweizer stimmen am 5. Juni darüber ab, ob in ihrem Land ein bedingungsloses Grundeinkommen eingeführt werden soll. Im (unwahrscheinlichen) Fall einer Zustimmung erhielte zukünftig jeder Schweizer monatlich beispielsweise 2500 Franken. Mein Kollege Markus Brauck hat sich in seinem Text "Wohltat für alle" mit der Frage beschäftigt, wie sich eine Gesellschaft verändern würde, wenn niemand mehr fürchten müsste, finanziell ins Aus zu geraten. Eine Erkenntnis, die mich überrascht hat: Die allermeisten Menschen, schreibt Brauck, würden wohl einfach weiter ihrer Arbeit nachgehen.
Eine Person, der ich von Herzen ein bedingungsloses Grundeinkommen wünsche, heißt Cristina. Cristina, 31 Jahre alt, stammt aus Rumänien und ist die Protagonistin in dem bewegenden Text "Die zwei Leben der Cristina R." von Bruno Schrep. Seit Monaten pflegt Cristina tagein, tagaus eine 91-Jährige, mehrere Wochen am Stück. Cristina bringt die alte Frau ins Bett, wäscht sie, kauft ein, kümmert sich um den Haushalt und ist auch nachts immer zur Stelle, wenn sie gebraucht wird. Für die alte Dame ist Cristina ein Glücksfall. Doch für ihren Einsatz rund um die Uhr erhält die Rumänin gerade einmal 1200 Euro im Monat, schwarz. Krankenversichert ist sie nicht. Auch wenn die beiden Frauen sich gut verstehen und Cristina ihre Arbeit gern macht, wie sie beteuert - ohne finanzielle Not hätte sie den Pflegedienst fern ihrer Heimat vermutlich nicht angetreten.
Ganz besonders empfehlen möchte ich Ihnen einen Text meines Kollegen Alexander Osang. Auch wenn er auf den ersten Blick ein - in meinen Augen - sehr unattraktives Thema behandelt: Pegida. Doch "Herr Preuß schreibt Geschichte" ist anders als alle Texte, die ich bisher zu der Bewegung gelesen habe. Osang porträtiert einen Mann, der in seinem Leben schon so ziemlich jede Rolle gespielt hat. Torsten Preuß war Reporter, Surfer, Weltreisender und FDP-Mitglied. Jetzt hat er bei Pegida eine neue Heimat gefunden. Der Autor kennt Preuß schon seit vielen Jahren, sie waren einst Kollegen bei der "Berliner Zeitung". Neben dieser persönlichen Beziehung macht auch Osangs einfühlsame Wortwahl diese Geschichte so besonders und lesenswert.
Kopfhörer auf, Ton ab: Beim Joggen, in der U-Bahn oder in der Badewanne habe ich seit einiger Zeit fast immer einen Podcast im Ohr - ein Audiostück, das man aus dem Internet herunterladen kann. Anscheinend bin ich nicht die Einzige, wie ich aus dem Text "Aufbruch in den Ohrbit" von Hilmar Schmundt erfahren habe. Der Autor beschreibt darin die Renaissance des gesprochenen Wortes, die in den USA begann und nun auch Deutschland erfasst hat. Schmundt erwähnt übrigens auch meinen Lieblings-Podcast: "Serial" handelt von einer Radiojournalistin, die einen 15 Jahre alten Mordfall lösen möchte. Ich habe vor Kurzem die erste Staffel durchgehört und bin aktuell auf der Suche nach neuem Stoff. Sehr praktisch, dass der Autor in seinem Text noch einige weitere hörenswerte Beispiele gesammelt hat. Sollten Sie noch einen guten Tipp haben, schreiben Sie mir doch gern eine Mail:miriam.olbrisch@spiegel.de
Eine interessante SPIEGEL-Lektüre wünscht Ihnen
Ihre Miriam Olbrisch
SPIEGEL-Redakteurin

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