19 września 2015

SPIEGEL-Brief

Sehr geehrter Herr Pascal Alter!

Meine Kollegin Antje Windmann schildert den Fall einer Frau, die Angst hat - vor sich selbst. Sie hat Angst, dass sie ihrem Kind etwas antun könnte. Die Frau erfüllt nicht das Klischee, das man im Kopf hat, wenn es um prügelnde Eltern geht. Sie ist gebildet, diplomierte Finanzwirtin. Doch wenn ihr siebenjähriger Sohn nicht schlafen will, wenn er Lärm macht, wenn er schreit und brüllt, schleichen sich fürchterliche Gedanken in ihr Gehirn. Sie möchte ihn packen, ihm ein Kissen aufs Gesicht drücken. Bis Ruhe ist. In diesen Momenten holt sie ihre Vergangenheit ein: Sie wurde selbst von ihren Eltern misshandelt. In diesem Text, er heißt "Schläge, Liebe, Hoffnung", wird deutlich, wie schmal der Grat für die Behörden ist, wenn sie ihre Pflicht erfüllen und sich um das Wohl des Kindes kümmern wollen. Greifen sie nicht ein, kann das tödlich enden, wie bei Kevin, Yagmur oder Alessio. Greifen sie vorschnell ein und reißen ein Kind aus seiner Familie, kann das ebenfalls Schaden anrichten. Windmann beschreibt eine Mutter, die ihren Sohn so sehr liebt, dass sie ihn schützen möchte. Als Kind ist sie selbst von ihren Eltern misshandelt worden, will jetzt nicht zur Täterin werden, wendet sich ans Jugendamt. Und lässt sich von einem Heer von Profihelfern unterstützen. Eine Geschichte, an die ich mich lange erinnern werde.

SPIEGEL-Reporter Cordt Schnibben hat eine "Liebeserklärung an alle Gutmenschen" verfasst. An jene Männer und Frauen, die in Asylheimen Altkleider abgeben oder Flüchtlingskinder an Bahnhöfen mit Kuscheltieren begrüßen. Sein Stück ist eine Abrechnung mit allen Schwarzmalern, Kulturpessimisten und Berufszynikern, die diese Helfer als Naivlinge ohne Verstand abtun. Als politisch korrekte Multikulti-Romantiker, die nicht sehen, auf welchen Abgrund Deutschland zusteuert. Schnibben ist selbst unter die "Gutmenschen" gegangen. Er hat in den Hamburger Messehallen Spenden für Flüchtlinge sortiert, sich durch Kleiderberge gewühlt, Hemden, T-Shirts und Strampelhöschen zusammengelegt. Nicht hirnlose Weltverbesserer traf er, sondern Menschen, die nicht zu jenem Teil Deutschlands gehören wollen, der sich "ängstlich aneinanderklammert vor den Zumutungen herumziehender Heimatloser". Es hat in den vergangenen Tagen eine Debatte darüber gegeben, ob Journalisten zu Aktivisten werden, wenn sie sich an Hilfsaktionen beteiligen. Am Bahnhof in Budapest verteilten deutsche Reporter Wasser an Flüchtlinge. Ich sehe das so: Als Journalist muss man unverklärt berichten. Und als Mensch Menschen in Not helfen.

Ich hatte neulich einen dieser Abende, an denen der Kühlschrank leer ist, man aber auch nicht noch mal raus will. Fünf Stockwerke, Nieselregen - ach nö. Also bestellte ich bei einem Lieferportal im Internet. Pizza? Burger? Indisch! Klick, klick, erledigt. Doch dann dauerte es. Und dauerte. Erst nach eineinhalb Stunden kam das Alu Gobhi. So richtig lecker war es auch nicht. Meine Kollegin Ann-Kathrin Nezik aus der Wirtschaftsredaktion berichtet über ein Start-up, das Rezepte wie Sobanudeln mit scharfem Gurkensalat oder malaysisches Kokoscurry verschickt - samt den Zutaten, die man dafür braucht. Klingt gut, ist logistisch aber ziemlich aufwendig. "Das Unternehmen lässt die Zutaten für die Bestellung von Studenten verpacken", schreibt Nezik. "Fleisch und Milchprodukte kommen zusammen mit mehreren eingeschweißten Eisplatten in Plastiktaschen, die innen mit Schafwolle verkleidet sind." Ganz schön kompliziert. Und billig ist der Service auch nicht. Vielleicht doch den Regenschirm schnappen und rüber zum Supermarkt.

Viel Vergnügen bei der SPIEGEL-Lektüre wünscht Ihnen

Ihr Wolf Wiedmann-Schmidt

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